Samstag, September 15, 2007

über statistik

ich schreibe über statistik, sage ich, am telefon, zu felicitas.
- das klingt ja spannend.
und weil der witz schon vorrauszusehen war, und sie auch
- behaupte ich einfach mal
schon die dritte ist, die ihn macht, sage ich nur:
- Ja.
ich höre, wie sie grinst.

die dritte von dreien, denke ich, das ist keine repräsentative gruppe.
- 100 %.
- was ich auf keinen fall schreiben will ist eine kolummne.
paul, felicitas, und marie, denke ich, das ist keine repräsentative gruppe.
- was du auch auf keinem fall schreiben wolltest, ist etwas privatistisches, subjektivistisches

man könnte eine erzählung machen, deren hauptfigur ein statistiker wäre
- na klar
- ein herr doktor, er hieße vielleicht volker michel, doktor volker michel
- und doktor michel geht durch die stadt, und wir befinden uns in seinem kopf
- nicht so filmmäßig hier.
- wie er der welt sieht, wie er sie versteht. er nimmt den hut ab
- unwahrscheinlich
- er nimmt den hut nicht ab?
- wieso sollte er einen hut tragen?
er bleibt stehen, und sieht die menge menschen an, die an diesem dienstag in der fussgängerzone - wieviele von ihnen plastiktaschen tragen und wieviele keine, und wo sie stehenbleiben und wo sie entlangströmen
- so ein klischee
- was?
- menge menschen ströme stehenbleiben?
- wer sagt eigentlich, daß ein statistiker nicht einfach so durch die stadt gehen kann, und sich einfach nur
- na was
- ich kenne leider keinen statistiker
- ich habe letzthin einen zeitungsartikel gelesen, in dem die arbeit eines statistikers, das heißt die arbeiten für einen statistiker, und seine auswertungen beschrieben wurden, das heißt wie einige studenten societyberichte des fernsehens gucken und aufschreiben, wer mit wem im bildhintergrund zu sehen ist, und dann netzwerkartige
- klappe
- das war aber nicht nett von dir, paul
- vielen dank an georg für diesen informativen beitrag

ich könnte georg anrufen, und ihn zur geschichte der statistik fragen, und er würde etwas erzählen vom entstehen in england, welches jahrhundert auch immer, und in frankreich, irgendetwas mit seuchenregistern in london und hungersnöten, und der erfindung der ökonomie durch adamsmith, die historiker sind eine sichere sache, sie haben zu allem geschichte und zugleich
von den verhungerten und pesttoten könnte man übergehen zum toten hasen, sie wissen schon: zwei meter links und zwei meter rechts danebengeschossen, statistisch gesehen ist der hase also
- und: glaube keiner statistik die du...
- ... nicht selbst gefälscht hast. diesmal sage ich: paul, halts maul, danke paul

mich interessiert hier nicht, wie ein statistiker denkt.

und es geht hier nicht um das statistische, das statistische der statistik.

das statistische der statistik: also wie statistiken hergestellt, wie interpretiert oder missverstanden werden, was sie sind und wie sie gebraucht - darum geht es nicht.

es geht nicht darum, ob statistiken die wirklichkeit wirklich beschreiben, oder ob sie diese verfehlen, ob die daten, auf denen sie beruhen, mit der wirklichkeit konvergieren, oder ob ihre interpretationen nützlich sind.

die statistiken sind wirklich. das statistische ist wirklich.

irgendwo gibt es eine statistik, die die zunahme von statistiken, von statistischen redeweseisen und denkmodellen erfasst.

die dax-kurse im fernsehticker unter den bildern vom krieg, die tortendiagramme und umfrageergebnisse, die selbstverpflichtungen auf prozentzahlen, die wahrscheinlichkeiten des verkehrs- oder krebstodes, mit denen man rechnet, die zahlen die es einem ermöglichen, sich einzuordnen - auch ich bin die zunahme des flugverkehres, die angst um den wohlstand oder die ausnahme des jugendlichen wählers - auch ich will anreize zur steigerung der geburtenzahlen, auch ich erledige seit 2002 22% mehr dinge im internet und am automaten oder selbst, als jemanden damit arbeit zu machen

der ständige abgleich einer gesellschaft als rohdatenmenge.

sich als von einer statistik erfasst zu denken, und sei es als abweichung, sich als kalkül mit hilfe einer statistik zu denken. und die wahrscheinlichkeitsrechnungen, mit denen man gestern heute morgen beschreibt. ich schreibe über statistik. das klingt aber spannend. der witz war erwartbar.

marie sitzt im cafe, seitlich von paul, gegenüber von georg, der zu spät gekommen ist, kinderkinder, und sie hat - ja was hat sie denn da? sie hat in einer frauenzeitschrift gelesen
- in einem magazin
- in einem handtaschenformatmagazin
und während georg sich durch die karte quält, die enthält, was eine karte in einem museumscafe überall enthält, weswegen - unter anderem - georg museumscafes mag, weil eine karte in einem museumscafe überall enthält, was eine karte in einem museumscafe enthält, weswegen die karte für georg also eine ganz andere als informative funktion
georg denkt unscharf, daß sich marie mit ihnen beiden, mit zwei männern
- zwei freunden
- ex-freunden
- ex-lovern übrigens auch
- freunde
georg denkt unscharf, daß sich marie mit ihnen, zwei männlichen freunden im cafe trifft, was - wie ihm eben jetzt und mir gerade so nebenbei einfällt - eher eine ausnahmeerscheinung ist; er mag das.
und während er sich fragt, ob er bestellen soll, was er immer bestellt, und somit mindestens einen spruch von paul erntete, der der situation vielleicht schub in diejenige richtung gäbe, aus den freundlichen zwei zweier situationen und der nicht ganz unbekannten dreiersituation eine gelungene, fröhliche dreiersituation zu machen
georg weiß nicht, noch nicht, aber ich und somit sie wissen jetzt, daß sein museumscafekartenproblem im lichte dessen, was zwischen den dreien, georg paul marie, jetzt gleich verhandelt werden wird, ganz anders gelagert ist.

[...]

paul blättert in maries handtaschenformatmagazin, und gibt etwas normalverteilungshaftes zum besten, so etwas wie: braucht man das? oder: soll mir das sagen: wenn sie diesen badezusatz kaufen werden die schwimmkerzen ebenso seidig auf ihrer haut schimmern wie bei diesem middle-aged modell, oder dergleichen
- kann sich jeder vorstellen, wird hier nicht ausgeführt.
eben etwas in der art: vorhersehbar, bissig, spielerisch, bewußt inadäquat, und mit sicherer distanz.
und marie lacht überraschenderweise nicht darüber, wie sie es meist tut, wie es die meisten tun, und wie die meisten es in gegenwart pauls tun, was nur in grenzen mit dem zu tun hat, was paul sagt - sondern marie erwidert: ich habe so frauenzeitungen gern.
- wieso?
- sie entlasten mich.
- wie?
- sie sagen mir, was zusammen passt, zusammen gehört, welche schuhe mit welcher musik, und welcher typ zu welcher non-goverment-organisation. sie geben mir ein role-model, ein model meines verhaltens wie meiner wünsche, ich finde dortdrinnen alles, was ich brauche, soweit es käuflich ist, und kann mich ungestört darumherum mit meinem ganz eigenen kram beschäftigen.

paul hat die arme verschränkt und zündet sich eine zigarette an, und saugt an ihr mit einer kleinen wut. er sieht ausnehmend gut aus, wie er da sitzt, bereit loszuschießen, wie immer ausnehmend gut gekleidet, nicht zeitlos
- oder wo zeitlos, da ganz in dem sinne, was gerade jetzt als zeitlos zu verstehen ist
es ist die art von kleidung, die sich auch felicitas kauft, wenn sie geld und zeit hat, weswegen felicitas eben nur alle zwei jahre so ausnehmend gut gekleidet ist

es kann eine beleidigung sein, zur zielgruppe zu gehören, wie es für paul ist, wenn er feststellt, daß er musik in dauerschleife hört, die für leute wie ihn gemacht wurde, weswegen paul ein trendsetter ist.

sich als gegenstand einer statistik zu denken, ist eine narzistische kränkung.

in einer debatte zwischen felicitas und georg, die keine debatte ist, wenn man den wahrscheinlichkeitsbehauptungen der handtaschenformatmagazine glaubt oder folgt wie es marie tut und es georg mit marie getan hat, sondern ein sex-anbahnungsgespräch, weil die debatte ein gespräch über sex war, obwohl bei der vielzahl von debatten zwischen felicitas und georg über dergleichen, denen nie sex folgt, es sich den handtaschenformatsmagazinen zu folge also um nicht-signifikante abweichungen handelte
- man könnte auch sagen: freundschaft
- unwahrscheinlich

georg und felicitas sprechen über pornographie. felicitas meint, pornographie entstehe im auge des betrachters. georg weist das zurück.

immerhin wird pornographie ja gemacht, ein massenindustriell gefertigtes produkt, daß wie alle produkte von der stange
- sehr lustig
möglichst auf alle potentiellen käufer einer zielgruppe
- hier: männer
passen soll
- fuck you.

für die empirie ist pornographie ein seltsamer gegenstand. ich meine hier nicht oscar wilde oder breillat, und nicht das clubbing im bordell oder den softporno, der chique und unchique werden kann, ich meine hier mit pornographie genau diese billig produzierten 15 sekunden clips. obwohl die userzahlen steigen, trifft man nie auf jemanden, der zur usergruppe gehört. georgs lieblingsanalyse dieses empirischen wunders ist: es sei eine narzistische kränkung, zu erleben, daß einen solche massenindustriell gefertigte filmchen erregen, daß etwas, was als ereignishaft und intim und individuell gedacht wird, nämlich sex, ebenso industriell, ebenso massenkonform gefertigt werden kann, wie turnschuhe, taschentücher oder auch ampelschaltungen. Das es also viel weniger moralische, individuelle oder gar ästhetische vorbehalte wären, die dazu führten, daß man gegen jede wahrscheinlichkeit nie auf jemanden trifft, der diese filme guckt, als vielmehr
und felicitas lachte ihn an, und: es gäbe sicher nicht viele user die so intellektualistisch, so tui-mäßig seien wie georg, um sich von ihrer erregung in ihrem selbstbild gekränkt zu fühlen
worauf georg noch anfügen muß, er stelle sich nur vor, wie er sich fühlte, wenn er solche filmchen guckte, was er nicht tut

[...]

georg sitzt paul und marie im museumscafe gegenüber, und denkt immer dasselbe: das er es TOLL findet, das marie solche handatschenformatsmagazine unbeschadet zum role modeling nehmen kann, TOLL! - das er auch gerne so ein magazin hätte, TOLL! - das er offensichtlich als zielgruppe zu klein ist, auch wenn er wie marie, TOLL! - sich ein solches rolemodel vornähme, in allem außer den buch- und filmtipps.